
Culinarium Alpinum: Ein Ort, der das Wissen der Alpen bewahrt – und serviert
Matteo Baldi: Das CULINARIUM ALPINUM hat seine Wurzeln in einem Kapuzinerkloster – wie lässt sich dieser spirituell und historisch aufgeladene Ort mit dem heutigen Fokus auf Kulinarik und Nachhaltigkeit verbinden?
Andres Lietha: Als CULINARIUM ALPINUM nutzen wir das ehemalige Kapuzinerkloster als wunderschöne Heimat, haben aber heute keinen direkten religiösen oder spirituellen Bezug. Dennoch haben wir viel vom Geist der Kapuziner übernommen: die Bescheidenheit, die Nüchternheit sowie die regionale Verankerung. In einem prachtvollen, barocken Benediktinerkloster, die mit dem Bautstil häufig Reichtum und Macht ausdrückt, wären wir wohl nicht am richtigen Ort.
MB: Sie sprechen von «alpiner Regionalkulinarik» – was bedeutet das konkret für Ihre tägliche Arbeit, Ihre Gäste und die beteiligten Produzent*innen?
AL: Regionalkulinarik heisst für uns, dass wir unsere Gerichte mit Zutaten von 20 Partnerbetrieben zubereiten. Die meisten befinden sich in Ob- und Nidwalden. In der Praxis heisst dies, dass unsere Speisekarte nicht im Büro auf dem Papier entsteht, sondern sich nach der Verfügbarkeit der Angebote dieser Produzenten richten. Die Menuplanung kann daher auch erst kurzfristig erfolgen. Am besten funktioniert Regionalküche mit unserer Überraschungstavolata – hier können wir täglich auf das Angebot reagieren und einen Vorrat komplett aufbrauchen, bis wir das nächste Gericht auftischen. Wir verwenden in der Konsequenz kein Olivenöl und keine Zitrusfrüchte. Bei Kaffee, Schokolade und einigen Gewürzen machen wir eine Ausnahme
MB: Viele ländliche Regionen kämpfen mit Abwanderung. Welche Rolle spielt das CULINARIUM ALPINUM dabei, junge Menschen in der Region zu halten?
AL: Wir sind in Stans glücklicherweise nicht in einer Abwanderungsregion sondern im Hauptort des Kanton Nidwalden, nicht weit von Luzern. Aber Modelle wie das CULINARIUM ALPINUM schaffen defintiv hochwertige, attraktive Jahresarbeitsarbeitsplätze und können in einer ländlichen Region die Abwanderung bekämpfen.
MB: Die «Essbare Landschaft» ist ein Aushängeschild Ihres Hauses. Was können Gäste dort erleben – und welche Botschaft soll dabei vermittelt werden?
AL: Die Essbare Landschaft ist ein Naschgarten. Über 250 Arten laden ein zum Entdecken, staunen – und wenn die Saison passt – zum Naschen und Probieren. Wir möchten zeigen, wie vielseitig eine solche Fläche auf kleinem Raum genutzt werden kann. Die Produkte werden gerne auch von unserer Küche verwenden und landen direkt auf dem Teller. Neben einheimischen Sorten zeigen wir auch, wie die Landwirtschaftliche Diversifizierung mit neuen Sorten weiterentwickelt werden kann.


MB: Wie gelingt es Ihnen, traditionelles Handwerk wie Käseherstellung oder Fermentieren in eine moderne, wirtschaftlich tragfähige Form zu bringen?
AL: Nicht alles war wir machen ist vermutlich rational und wirtschaftlich die beste Lösung. Da ist viel Leidenschaft dabei, um hier auch einen gewissen Mehraufwand zu leisten. Wir brauchen Gäste, welche dies schätzen und in Zukunft auch bereit sind einen gewissen Mehrpreis zu bezahlen. Wir kaufen zwar günstig und ohne Zwischenhandel ein, haben aber deutlich höhere Personalkosten in der Verarbeitung und Zubereitung der Speisen.
MB: Inwiefern ist das CULINARIUM ALPINUM auch eine Plattform für Begegnung und Dialog – zwischen Stadt und Land, Konsument*innen und Produzent*innen, Jung und Alt?
AL: In unserer Strategie halten wir fest, dass wir ein Kompetenz- und Begegnungszentrum sein möchten. Die Kompetenzen liegen nur zu einem kleinen Teil bei uns im CULINARIUM ALPINUM, sondern bei unseren Partnern und Lieferantinnen und Fachleuten, welche bei uns referieren. Und ja – natürlich Stadt und Land und Jung und Alt.
MB: Viele unserer Leser*innen reisen bewusst, suchen echte, lokale Erfahrungen. Was würden Sie sagen: Wie kann ein Besuch bei Ihnen Teil eines nachhaltigen Reiseerlebnisses sein?
AL: Ich glaube wir haben ein sehr stimmiges Konzept, das mit dem eindrücklichen, sehr sanft renovierten Gebäude anfängt, das einfach eine besondere Stimmung erzeugt – sei es bei einem Kurzbesuch oder bei einer Übernachtung. Dann folgt der Gastrobetrieb mit dem klaren Konzept, der in meinen Augen auch aufzeigt, dass Regionalität einfach auch besser schmeckt, als die konventionelle – oder wir sagen ihr auch schon fast die alte Küche. Weiter überzeugen wir unsere Gäste mit vielen Details wie dem sortenreinen Apfelsaft auf dem Zimmer, der Seife aus Produktionsabfällen etc. Nicht zuletzt haben wir Mitarbeiter*innen, welche das Konzept leben und gerade wegen unserer Philosophie bei uns arbeitet – auch dies spürt der Gast.

MB: Die Stiftung KEDA setzt sich für Biodiversität, faire Produktion und ökologische Landwirtschaft ein. Wie fliessen diese Prinzipien ganz konkret in Ihre täglichen Entscheidungen ein?
AL: Ich glaube der Unterschied liegt darin, dass wir nicht eine konventionelle Firma mit einem Kerngeschäft sind, welche sich Nachhaltigkeitsprinzipien auf die Fahne geschrieben hat, sondern dass diese Prinzipien bei uns das Kerngeschäft und im Zentrum unseres Handelns stehen. Daher ist es bei uns immer die erste Frage, ob wir diesen Prinzipien erfüllen und ob wir unserer Vorbildfunktion gerecht werden. Wir sind natürlich auch in der glücklichen Lage, dass bei uns als Stiftung der wirtschaftliche Druck etwas kleiner ist als bei einem konventionellen KMU.
MB: Was war für Sie persönlich ein bleibender Moment seit der Eröffnung des CULINARIUM ALPINUM?
AL: Kurz nach meinem Stellenantrieb fand mit Alp’24 ein internationaler Wettbewerb für kulinarische Produkte aus dem ganzen Alpenraum statt. Bei der Medallienvergabe war zu sehen, wie stolz die Produzent*innen auf ihre Produkte sind, wieviel Herzblut dahintersteht und wie wichtig es ist, dass wir ihnen die wohlverdiente Wertschätzung entgegenbringen. Das waren wunderbar emotionale Momente, die aufgezeigt haben, wofür wir arbeiten.
MB: Wie wünschen Sie sich die Zukunft der alpinen Kulinarik – und welche Rolle könnte Tourismus dabei spielen?
AL: Unsere Vision ist es, ein internationales Vorbild zu sein, wie regionale Kulinarik in unserem Kloster und unserer Region erfolgreich umgesetzt werden kann. Das CULINARIUM ALPINUM soll sich für alle Interessierten zu einem Fixpunkt auf der internationalen touristischen Landkarte entwickeln.

Andres Lietha
Andres Lietha ist ein erfahrener Experte in den Bereichen Tourismus, Outdoor-Industrie und Marketing. Seit November 2024 führt er als CEO das Culinarium Alpinum und setzt sich für die Förderung der regionalen Küche ein. Zuvor war er als Geschäftsführer der Engelberg-Titlis Tourismus AG tätig, wo er während fast fünf Jahren die touristische Entwicklung der Region prägte.